Momentaufnahme bei Google News zum Thema „Soziale Medien“: „Soziale Medien kennen keine Spielregeln“, „Antisemitismusbeauftragter steigt bei Facebook & Co. aus“, „Schaltet Facebook ab“, „Soziale Medien bedrohen die Demokratie“, „warum der Schönheitswahn in den sozialen Medien gefährlich ist“, „wie soziale Medien den Perfektionierungsdruck steigern“, „Soziale Medien bergen große Suchtgefahr“ … noch mehr gefällig?
Sind das alles nur verkaufsfördernde populistische Headlines oder handelt es sich um längst überfällige Aufklärung?
Im Mittelalter wurden Überbringer von schlechten Botschaften einen Kopf kürzer gemacht. Viel geändert hat sich offenbar nicht, möchte man manchmal meinen. Allen oben genannten Berichten gemeinsam ist, dass Sozialen Netzwerken gleichsam die (Mit-)Täterschaft zugeschrieben wird. Die Website des Deutschlandfunks etwa schreibt: „Die Sozialen Medien schafften bei den Nutzern Aufmerksamkeit, indem sie extreme Positionen verbreiteten“. Moment mal: für die Verbreitung extremer Positionen sind doch immer noch Menschen verantwortlich, die in sozialen Netzwerken unterwegs sind. Und diese Menschen bedienen sich dabei der großen Reichweite, die ihnen Facebook & Co. bieten. Sind die Absender von Hassbotschaften Rechtsextreme oder ist Mark Zuckerberg heimlich AFD-Mitglied? Ist es Twitter, das die amerikanische Außenpolitik auf den Kopf stellt oder der US-amerikanische Präsident?
Die Frage der angeblichen Mittäterschaft von Medien bei gesellschaftlichen oder politischen Fehlentwicklungen ist so alt wie die Medien selbst. Ob Buchdruck, Telefon, TV oder Handy: Kulturtraditionalisten gaben stets den Medien die Schuld an „Verrohung“, „Überreizung“ oder sogar „staatsgefährdenden“ Einflüssen moderner Medien.
Im Unterschied etwa zu Zeitungen und Fernsehen, in denen Journalisten, Gremien oder Verleger die Meinungs- und Deutungshoheit haben. Und Papier ist ja bekanntlich auch geduldig. Auch hier kann man anmerken: nicht alles, was in ihnen publiziert wird, führt automatisch zu Aufklärung und einer besseren Welt. In Sozialen Netzwerken sind die Nutzer die Akteure. Ob Extremist, Schüler, Pfarrer, Kanzlerin, Unternehmer oder BILD-Zeitung. Das ist im Prinzip zunächst mal urdemokratisch, weil allen unterschiedslos gleicher Zugang gewährt wird. Aber die verbreiteten Botschaften sind auch nur in dem Maße an unseren zivilisatorischen Werten und Maßstäben orientiert wie die Nutzer, die sie verwenden.
Sicher sind soziale Netzwerke auch Multiplikatoren und Beschleuniger von Botschaften. In einer nie zuvor gekannten Geschwindigkeit. Mehr als alle Medien in der Geschichte bergen sie mit dieser sekundenschnellen Verbreitungspower auch die Gefahr des Missbrauchs. Von daher setzen sie einen verantwortungsvollen Umgang voraus. Und dieser wiederum einen aufgeklärten Nutzer, der um seine Verantwortung für die Wertegemeinschaft seiner Gesellschaft weiß. Die Geschichte lehrt: Eine Demokratie kann ohne Demokraten nicht bestehen, soziale Netzwerke hin oder her. Ob Facebook & Co. Brandbeschleuniger oder Aufklärungsbeschleuniger sind, hängt davon ab, ob auf Facebook & Co. mehr Brandstifter oder mehr Aufklärer unterwegs sind. Demokratie-, Umwelt- oder Tierschutzbewegungen in aller Welt zeigen, dass die Nutzung Sozialer Netzwerke auch im Dienste von Aufklärung, Humanität und Frieden funktioniert. Auf einen simplen Punkt gebracht: Soziale Netzwerke sind nur so gut (oder schlecht) wie die Menschen, die sie nutzen.
Was unbestritten ist: Soziale Medien sollten ihre Technologie nutzen, um Hassbotschaften zu erkennen und zu entfernen. Am besten samt derer, die sie verbreitet haben. Es ist nur schwer erträglich, dass Parteien, Politiker oder Organisationen, die unsere Demokratie in Frage stellen, Hassbotschaften z.B. auf Facebook ungeniert verbreiten dürfen. Und während sie dafür sogar 6-stellige Werbe-Beträge auf Facebook ausgeben dürfen, wird eine Anzeige für banales Hanföl für besseres Einschlafen (natürlich ohne THC …) von Facebook zensiert und einkassiert.
Mehr Verständigung, Toleranz und Gemeinsamkeit statt Hass und Ausgrenzung kann schlussendlich nur mehr und bessere Bildung schaffen. Hier kommt Elternhaus, Schule und weiterführenden Bildungsinstitutionen eine entscheidende Rolle zu. Auch was den verantwortungsvollen Umgang mit Sozialen Medien angeht.
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